Sonntag, 27. November 2011

... nur einfach mal wohnen wollen - teil 1 (advent) ...


na ja, ich muss ehrlich eingestehen ... es gab in der vergangenheit durchaus entspanntere starts in die adventszeit. das liegt sicherlich auch daran, dass auf der fensterbank meiner mama in der tat die immer noch prachtvoll blühende geranie steht und (ich habe es ja prophezeit) daneben nun der dickbäuchige, rotwangige weihnachtsmann ... aber, wie ihr seht, haben auch wir es geschafft, unser daheim pünktlich zum ersten advent ein wenig vorweihnachtlich herzurichten. es musste dazu lediglich der weihnachtsdekorationsfundus gesichtet, mit dem einen oder anderen neuzugang ergänzt, ein wenig umgeräumt und begutachtet werden und noch einmal ein wenig umgestellt und begutachtet werden ... ach, da fällt mir doch gerade eine kleine, passende geschichte ein, die der herr in unserem haus mir sicherlich gerne auch an diesem wochenende wieder vorgelesen hätte ... und weil ich finde, dass geschichten erzählen einfach zur adventszeit gehört, lese ich sie stattdessen euch vor ... ja, ich weiß, das dauert seine zeit und es passt bestimmt gerade ganz und gar nicht ... aber dann komm doch einfach ein anderes mal wieder, das ist überhaupt kein problem ... du kannst dich dann gemütlich zurücklehnen und ich erzähle sie dir dann noch einmal ... 
  
 


  

nur einfach mal wohnen wollen

von axel hacke 


es ist abend. ich liege auf dem sofa. paola kommt herein. "liebling", haucht sie, "duuuu ...?" sie kniet sich neben das sofa. ich weiß schon, was jetzt kommt, lege die füße hoch auf ein dickes kissen und schaue nach links gegen die rückenlehne des sofas. "schatzi", flüstert sie, "ich würde so gern ..." ihr mund ist neben meinem kopf, ihre lippen berühren mein ohrläppchen. nein, denke ich, nicht jetzt. ich habe keine lust. nicht schon wieder. aber es muss sein. sie will. es geht nicht anders. "o nein", seufze ich, "wir können es doch morgen auch noch machen." "nein", haucht paola, "ich will es sofort. ich will, dass wir es jetzt machen." sie steht auf ...

"hilfst du mir, die möbel umzustellen?", säuselt sie. in unserem wohnzimmer befinden sich ein sofa, eine chaiselongue, ein tischlein, zwei sessel, eine stehlampe, noch ein tischlein, ein sekretär und ein teppich. jedes möbel hat schon an jeder stelle im wohnzimmer gestanden, so oft haben wir sie verrückt und umgestellt.







"ich kann dieses wohnzimmer nicht mehr sehen", sagt paola. "ich ertrage es nicht. das sofa hier steht im weg, wenn man zum fenster will, und den sekretär sieht man überhaupt nicht richtig, wenn man reinkommt, dabei ist er so schön." "ich habe den ganzen tag gearbeitet", sage ich. "ich will nicht möbel rücken. ich will jetzt wohnen." "ich kann hier nicht mehr wohnen", sagt sie. "dieses zimmer macht mich wahnsinnig. ich hasse es. ich mag es schon gar nicht mehr betreten. es ist so un-gemütlich."

wenn sie un-gemütlich sagt, habe ich verloren. noch ein widerwort und nicht nur das wohnzimmer wird sehr un-gemütlich. sondern auch paola. aber es muss mal ein offenes wort erlaubt sein. für mich liegt der sinn aller dinge, die mich umgeben, weniger in ihrem gebrauchswert als in ihrer beständigkeit. natürlich brauche ich eine brotschneidemaschine, um brot zu schneiden. und eine nachttischlampe, um nachts lesen zu können. und einen sekretär, um in seinem linken unteren schublädchen schlüssel aufzubewahren. das ist das eine.







das andere ist: ich brauche die brotschneidemaschine und die nachttischlampe und den sekretär auch, weil sie gegenstände sind. gegenstände können nicht abhauen. sie sind morgens, wo ich sie abends hingelegt habe. sie befinden sich, wenn ich will, jahrelang am selben platz. wenn mein blick in ihre richtung geht, sind sie da. das beruhigt mich. gibt mir halt. macht mir zuversicht. ich glaube, das ist der tiefere, allen gegenständen gemeinsame, über ihre banale zweckmäßigkeit hinausreichende sinn der dinge. sie sollen mich beruhigen. sie sollen das nervöse in meinem inneren beschwichtigen. aber man muss sie dafür natürlich stehen lassen, wo sie sind. darf sie nicht immerzu verrücken.

"ich kann unmöglich auch nur noch einen einzigen abend in einem so un-gemütlichen wohnzimmer verbringen", sagt paola. sie ruht so sehr in sich, dass sie um sich herum bewegung braucht. deswegen hält sie selbst sofas, sessel und sekretäre auf trab. "aaaaaah", mache ich und stehe auf. wir schieben den sekretär nach links, das sofa nach rechts, die chaiselongue an die wand. den teppich ziehen wir hierher und dorthin. paola stellt sich in die ecke, stützt den kopf in die rechte hand, den rechten ellbogen auf den linken unterarm.

dann sagt sie "besser. gemütlich." ich lausche, wieder auf dem sofa, dem verklingen ihrer worte nach. höre schon den leisen zweifel darin. weiß, dass wir in einem halben jahr wieder rücken werden. und gebe mich doch der verzweifelten hoffnung hin, nun werde alles bleiben, wie es ist. für ein jahrtausend. oder wenigstens für den rest meines lebens. oder wenigstens dieses jahr ...